BAKHMARO

Wie oft und gerne schmeißen wir mit den wildesten Phrasen wie „Life is an Adventure“ „Leave your comfortzone“ und vielem mehr gerade zu um uns. Irgendwie auch zurecht, denn jede Reise oder gerade auch jegliche Outdoor-Aktivität ist ein kleines Abenteuer. Wenn aber auf einmal die Kategorie „klein“ wegfällt und man mit einem wahren Abenteuer konfrontiert wird, merkt man erstmal, wie verweichlicht, verwöhnt oder man eben an die eigne Art zu Leben bzw. seinen eigenen Lebensstandard gewöhnt ist.

So geschehen in der Woche vor Weihnachten, als ich im Auftrag des deutschsprachigen Bergsport-Magazines Bergstolz und des bayrischen Skibindungherstellers Bavarian Alpine Manifest nach Georgien reiste. Unsere Mission lautete, Ski-Erstbefahrungen im kleinen Kaukasus, sprich in einem Gebiet, in dem noch nie jemand zuvor mit Skiern irgendwelche Hänge hinabgefahren war.

Eigentlich hätten hier schon die Alarmglocken klingeln müssen, dass das wohl eher eine „Expedition“ als eine herkömmliche Reise werden würde, spätestens beim Wikipedia-Eintrag zu unserem Zielort Bakhmaro hätten die Alarmglocken dann aber explodieren müssen. Schließlich wird das kleine Bergdorf jedes Jahr aufgrund der zu erwartenden Schneemaßen gegen Ende Oktober evakuiert und ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu erreichen… (warum ich das gelesen und einfach weggelächelt habe, ist mir im Nachhinein nicht verständlich!)

Nichts Böses ahnend und mit der Vorfreude auf tonnenweise Schnee stieg unsere 10-köpfige Pioneer-Truppe bestehend aus Bergstolz-Mitarbeitern, BAM-Teamfahrern, Schweizer Freeski-Pros, Arc’teryx-Athleten und meiner Wenigkeit an Deutschlands höchstem Airport (Memmingen) in das Flugzeug nach Kutaissi, Georgien.

…und das 7-tägige Kuriositäten-Kabinett mit einem Programm aus Himmel und Hölle begann.

Nach erstaunlich kurzweiligen 4 Flugstunden begannen wir mit dem Landeanflug auf Kutaissi. Selbiger wurde nach mehrmaligen Versuchen, unzähligen Schleifen und mehrmaligem Durchstarten abgebrochen und die Stimme des Flugkapitäns war zu vernehmen:

„Die Landebahn in Kutaissi liegt unter enormen Schneemassen begrauben, so dass das Bodenpersonal nicht mit dem Räumen der Landebahnen hinterherkommt, aus diesem Grund fliegen wir sie jetzt nach Tiflis. Schönen Abend“

Jubel brandete im Flugzeug auf, allerdings gab es auch 10 betretene Gesichter, die sich fragend und achselzuckend anblickten. Kurzum 2 Std. später, es war mttlw. 0.40 Uhr standen wir ebenso ratlos vor dem Service-Schalter der Airline, wie die Dame dahinter.

In den nächsten 24-30 Std. folgten diese Ereignisse im schlaflosen Zeitraffer:

  • stundenlanges Warten am Flughafen von Tiflis
  • 10 Leute werden im tiefgekühlten Sprinter (samt tonnenweise Skigepäck) in einem Höllenritt auf Eis & Schnee durch das nächtliche Georgien gekarrt
  • Im Niemandsland wird unser Minibus gestoppt, Gepäck und wir werden in zwei georgische Jeeps aus dem Jahre 1743 verlanden und weiter geht es
  • bei dem Schild „Bakhmaro noch 40 km“ huscht ein erstes Lächeln über unsere völlig übermüdeten Gesichter
  • 10 km später graben wir die hoffnungslos im Schnee versunken Autos aus
  • Ende, hier gehts nicht weiter
  • unser georgischer Guide bietet uns eine Bretterhütte – Marke verlassene Scheune –  als Übernachtungsmöglichkeit an
  • wir wehren uns mit Händen und Füßen
  • letztendlich kommen wir bei den Nachbarn der „Bretterhütte“ unter; das ist zwar auch kein Luxus und alles andere als warm, dennoch besser als die erste Option und immerhin Mäusefrei

Da sind wir nun, seit fast 48 Std. wach, völlig ausgekühlt, mit hängenden Köpfen und sinkender Laune – einzig die unfassbaren Mengen an Schnee halten uns noch etwas bei Laune. Wir wollen endlich Skifahren.

Einige Stunden später wird unsere Truppe dann von einer Pistenraupe abgeholt, wir laden auf und klettern selbst so gut es geht auf das Gefährt und klammern uns irgendwie fest. Natürlich hat die Pistenraupe, weder eine Kabine, eine rutschfeste Standfläche noch irgendwelche Haltemöglichkeiten – Willkommen in Georgien; wird schon alles klappen. Wer selbst schon mal auf einer Pistenraupe mitgefahren ist, weiß, das ist ein Heidenspaß für ca. 5 min. – wir waren 30km und 4,5 Stunden (bei -12 Grad) damit unterwegs. Kein Kommentar.

Weißgefroren, mit schmerzenden Gelenken und Diesel-Abgasen in den Lungen kommen wir endlich in Bakhmaro an. Ein unglaublicher Anblick, eine Geisterstadt aus hunderten (vielleicht sogar tausend) Hütten liegt vor uns, und wir sind die einzigen bzw. die ersten Menschen, die hier jemals im Winter oben waren. Ehrfürchtig starren wir schweigend in den Talkessel.

Dann holt uns die leider die Realität mit einer schallenden Ohrfeige ein, unsere Unterkünfte sind erneut „Bretterbuden“. Ausgestattet mit: keinem Strom, keiner Heizung, kein Telefon- geschweige denn WLan-Netz, kein Wasser, keine funktionierende Toilette, kein verdammtes Nichts. Die Stimmung droht instant zu kippen, da wir hier zum ersten Mal realisieren: Das Ganze haben wir alle extrem unterschätzt. Wir scharen uns bibbernd um den Ofen, stopfen Holzscheit um Holzscheit in dessen Öffnung und ergeben uns unserem Schicksal.

Das Skifahren am nächsten und in den Folgetagen hingegen entschädigt für so manches. Entweder es ist Jahre her oder ich muss zugeben, dass ich noch nie soviel Schnee gesehen, geschweige unter meinen Latten gehabt habe. Meterweise feinster trockener Powder sprühen in jedem Turn durch die Luft und die Hügel um Bakhmaro entpuppen sich zu einer der besten Spielwiese aller Zeiten. Mehr zum Thema „Skifahren in Georgien“ lest ihr in einer der kommenden Bergstolz-Ausgaben; daher möchte ich hier nicht zuviel darüber erzählen.

Allerdings folgten eben auf die täglichen ca. 6 Stunden Himmel die abend- und nächtlichen 18 Stunden Hölle in Form von nicht duschen zu können, sich nicht wirklich aufwärmen zu können, das Fehlen einer Toilette, der einfache Zugriff auf Wasser etc. pp. Als besonderer Nervenkitzel übrigens stellte sich die folgende Überlegung heraus, wo kein Telefonnetz, da auch keinerlei Rettungskette, sprich es muss ja noch nicht mal beim Skifahren etwas passieren, was ist, wenn jemand – blöd gesagt – einfach vom Stuhl fällt und eine Platzwunde davonträgt…? Gedankenspiele, die man besser nicht zu Ende spielt.

Dieser Gedanke begleitet einen auch auf den Berg, der eh – zumindest für mich – etwas beklemmende Moment, wenn man seinen ABS-Rucksack entsichert, in den Hang kuckt und sich denkt: geht schon…vermischt sich jetzt immer mit dem Gedanken: es muss gehen; denn Hilfe kommt hier nicht.

Als Fazit, kann man so nun wirklich sagen, die anfängliche Bezeichnung eines „Trip nach Himmel und Hölle“ trifft es so ziemlich genau, denn tagsüber hatten wir die besten Schnee- und Skibedingungen seit ich auf Skiern stehe, einhergehend mit dem größten Smile ever im Gesicht, die Nächte hingegen waren für (scheinbar verwöhnte) Menschen aus dem Westen wirklich nur schwer zu ertragen und der Ruf nach Abbruch wurde allabendlich erneut laut.
Andererseits muss man sich auch selbst an die Nase fassen und sich verdeutlichen: was hatte man erwartet? Das Wort „Erstbefahrung“ steht naturgemäß für „keine Infrastruktur“, Abgeschiedenheit und echter Wildnis. Da muss ich mir selbst schon auch etwas Blauäugigkeit attestieren und werde daraus lernen.

Nie wieder solch ein Trip ohne Feuchttücher, Handwärmer, Winterschlafsack und Kohletabletten in rauen Mengen! Obendrein kann ich nur jedem für solch eine Art von Trip, Merino-Unterwäsche in rauen Mengen empfehlen – ohne, wäre ich vermutlich einfach erfroren.

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Ob ich den Reißverschluss extra aufgemacht habe? Ja, für ca. 10 Sekunden.

Letzen Endes waren wir glaube ich alle froh, einigermaßen gesund und munter wieder nach Hause zurückkehren zu können – vergessen, wird diesen Trip allerdings niemand; das ist Gewiss.

Mehr dazu, sowie meine Bilder, seht ihr in einer der Ausgaben des Bergstolz-Magazines 2017.

Obendrein verspreche ich hiermit, nie wieder Witze über den Begriff #Heimscheisser zu machen.
R. 

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Februar 2017

Ohne mich selbst davon überzeugen zu können, kann ich aber aus gewissenhaften Quellen berichten, es wurde ordentlich nachgerüstet in Bakhmaro. Die Zimmeraufteilung der Holzhütten wurde überarbeitet, alle Öfen funktionieren mttlw. tadellos, Toiletten (Plumpsklos) wurden nachgerüstet und sind in Betrieb, ebenso gibt es einen Dieselmotor der Strom und sogar Warmwasser beschert, auch das Satellitentelefon gehört nun zum Standart-Hausinventar. Auch die lang vermisste Kabine für die Cat/Pistenraupe ist mittlerweile eingetroffen, montiert und von diversen Testern für gut befunden worden. Das Gebiet und die endlosen Spielwiesen wurden von mttlw. mehreren Besuchergruppen (Ski&Board) auf Herz und Powder getestet, erweitert und gehörig eingefahren. Bravo.

Gut, dass auf eine Sache in dieser ersten Bakhmaro-Saison aber wirklich Verlass ist, denn Frau Holle legt sich Woche für Woche erneut ins Zeug. Es schneit und schneit und schneit. So gibt es meist 2 Tage später schon keine ersichtlichen Spuren mehr, so als ob wieder einmal noch nie jemand zuvor hier oben gewesen wäre.

 

++++++++++ UPDATE ++++++++++ UPDATE ++++++++++ UPDATE ++++++++++ 

Oktober 2017

Endlich! Hier ist der Link zu unserem Pioniere-Trip nach Georgien; diesmal dreht sich alles um Skifahren und den Umständen vor Ort und nicht meinem „verweichlichten-P1-Pussy-Boy-Gejammere“ (Original-Zitat einer Internet-Beschimpfung – aber keine Angst, ist mttlw. alles geklärt).

Danke Bergstolz und B.A.M für diesen aus jeder Sicht unvergesslichen Trip.

3 Gedanken zu “BAKHMARO

  1. Hallo Perueckenjunge,

    interessanter Reisebericht, Deine Schlussfolgerungen und Negativdarstellungen irritieren mich allerdings sehr…

    Was hast Du denn erwartet von einer „expeditionsartigen“ Tour in den kleinen Kaukasus in ein im Winter verlassenes Dorf? Für mich jedenfalls hört sich das nach einem gelungenen Trip an bei dem Du vielleicht nicht mit den Umständen klargekommen bist, weil Deine Erwartungshaltung eine Andere war.

    Probleme mit dem Flug kann man immer haben und wenn man in eine Region reist wo meterweise Schnee fällt (zum Freeriden) muss man vielleicht auch mit deratigen Problemen rechnen. Die Erkenntnis, dass es hinten auf einer Pistenraupe kalt ist finde ich sehr bemerkenswert, denn es scheint hier, dass die Vorbereitung seitens der Reisegruppe wohl mangelhaft war. Bei Winterreisen in schneereiche Gebiete versteht es sich doch wohl von selbst sich so auszustatten, dass man damit klarkommt. Danke an Deinen Sponsor!

    Kein Strom, kein Telefon, kein Wlan – das ist doch absoluter Luxus in einer Zeit wo man meint ohne diese Annehmlichkeiten nicht mehr leben zu können. Vielleicht sollte man es mal wieder genießen ohne die modernen Kommunikationsmittel auszukommen und die „18 Stunden Hölle“ dazu nutzen mit den Mitgliedern der Gruppe zu kommunizieren, zu lesen oder einfach zu schlafen statt sein Handy zu vermissen…und für den absoluten Notfall hilft ein Satellitentelefon wenn man sich dann besser fühlt.

    Wenn man Luxus will sollte man vielleicht lieber in einen schöne warme Lodge in Canada,BC zum Heliskiing fahren, ein schönes Ribeye Steak mit einem guten Rotwein genießen, statt die Länder im Osten zu bereisen, die meiner Meinung nach aber viel spannender sind.

    Wenn Du jetzt der Meinung bist ich weiß nicht wovon ich sprechen kann ich Dir versichern, dass ich viele Länden im Osten (Aserbaidschan, Kirgisien, Kasastan, Usbekistan, Russland, Georgien) im Sommer wie im Winter zum Freeriden und für andere Outdoor Aktivitäten bereist habe und durchaus weiß wovon ich spreche.

    Think positive in the future!

    Michael

    Gefällt 1 Person

    1. Hi Michael, Danke für deinen ausführlichen und zu großen Teilen auch richtigen Kommentar. Wieso dich allerdings meine (Anfangsworte, wie auch meine) Schlussfolgerung, dass ich etwas blauäugig und schlecht vorbereitet an die Sache herangegangen bin, irritieren, bleibt mir aber ein Rätsel.
      Sei es drum, in der Summe hast du natürlich Recht; dass sich die ganze Geschichte mglw. „etwas“ negativ liest, spiegelt aber einfach unsere tatsächliche und allabendliche Laune auf diesem Trip wieder – und geht es nicht bei einem Blog darum, über das Erlebte zu berichten?
      Obendrein – ich möchte hier nicht weiter ins Detail gehen – waren unsere Informationen zu dieser Reise im Vorfeld äußerst knapp und dürftig, genau aus diesem Grund trafen uns dann die Umstände vor Ort auch etwas überraschend. Kleines Beispiel: zwei Tag vor Abflug teilte man uns mit, dass mglw. ein Schlafsack recht praktisch wäre (bis zu diesem Zeitpunkt gingen alle zwar von einfachen Verhältnissen – aber eben Verhältnissen mit Betten aus).

      Aber wie gesagt, ich will weder dir „keine Ahnung“ oder sonst etwas attestieren, noch möchte ich mich jetzt um Kopf und Kragen argumentieren – ein geiler Trip war es allemal, wenn auch mit einer etwas härteren Gangart.

      Lieben Gruss;
      R

      Ps.: Das mit dem think positive hab ich echt versucht, sogar um 4:15 Uhr bei -20 Grad auf dem „Klo“ – war aber schwierig 😉

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