Eine simple Geschichte, wie aus einem furchtbar regnerischen Tag, der Tag des Unterschiedes zwischen Kanadiern und uns Deutschen wurde… Aufgrund des uns nicht unbekannten typischen BC-Herbstwetters (Regen, 10 Grad und Nebel) war schnell klar, kein Biken für heute – lieber den Tag vertrödeln (waschen, einkaufen, netflixen etc.) und ein wenig durch die Gegend fahren, um die allerletzten noch fehlenden Whistler nahen „Sehenswürdigkeiten“ abzuklappern.
Den Anfang der sogenannten Sehenswürdigkeiten macht ein Stop bei Campfire Coffee, denn was ist ein Tag ohne ordentlichen Kaffee und einer Zimtschnecke? Gestärkt ging es weiter zur nagelneuen BMX-Bahn in Whistler. Nur kucken, nicht fahren ist hier das Motto, zum einen regnete es in Strömen, zum anderen ist die Bahn eingezäunt abgesperrt und man muss Mitglied im Whistler BMX Club/Verein/whatever sein. Immerhin hatten wir dieses Prachtstück jetzt auch bewundert; kann somit von der Liste gestrichen werden. Ebenfalls abzuhaken galt es die Brandywine Falls, die etwas ausserhalb von Whistler (Fahrtrichtung Squamish/Vancouver) liegen – der dazugehörige Parkplatz auf der in Fahrtrichtung linken Straßenseite ist dann nicht zu übersehen. Dank des Wetters waren keine 10 Fahrzeuge hier abgestellt, was uns wiederum freute, denn gerade diese „Hotspots“ an mitten der Touristen-Automeile sind mttlw. gerne mal heillos überfüllt. Heute aber nicht.
Keine 10 Gehminuten später ist man auch schon an den verschiedenen Aussichtspunkten auf diesen doch recht imposanten Wasserfall angekommen – und tatsächlich sind wir nur in Gesellschaft von 5 anderen Personen. Sehr angenehm.

Fun-Fact, im Internet gibt es diverse „Autoren“ und Fotografen, die von einem Bild von der Aussichtsplattform abraten – man solle lieber zum Fuß des Wasserfalls hinabgehen und von dort knipsen, viiiieel besser. (Zugegebenermaßen die Bilder von unten sind auch wirklich grandios; einfach mal auf instagram suchen) Aber jetzt mal ehrlich, wie soll das gehen? Gut, über das Holzgeländer ist man schnell gestiegen, aber dann folgen 50m senkrechte Felswand in die Tiefe… ich soll mich für ein Foto abseilen? Ernsthaft. Danke ich passe – sieht von oben nämlich auch schön aus.
Noch ein Haken auf der Liste, selbige wird übrigens immer dünner und da wir nichts weiter mit uns anzufangen wissen, brechen wir trotz des (vermeintlich) anlassenden Regens zurück zum Auto auf. Auf dem Weg zurück in unser Appartement in Whistler fiel unser Blick – wie schon so häufig – auf das unübersehbare „Whistler Bungee – turn right“ Banner am Straßenrand. Ein kurzes beiderseitiges Nicken und es war beschloßen, heute ist die Zeit uns das mal anzukucken. Ich nehme es vorweg, die Option selbst zu springen, hat keiner von uns beiden je auf dem Schirm, wir wollten einfach nur kucken. Aber auch hier kann ich abkürzen, viel zu sehen – ausser einem mächtigen Stahlbrückenkonstrukt – gibt es da nicht. Was bei dem Wetter auch nicht zu erwarten war; denn es goss mttlw. wie aus Eimern. Aus purer Langeweile und im Nachhinein aus keinem ersichtlichen Grund, fuhren wir die Forststraße nicht zurück zur Hauptstraße sondern tiefer hinein in den Wald. Ich liebe diese „ich-werde-Rallye-Pilot“ Momente; auch wenn wir uns gerade mal mit 30 kmh fortbewegten. Kurve um Kurve fuhren wir stets bergauf und tiefer in den Wald, bis nach ca. 20 Minuten Fahrt eine Art Parkplatz (befestigter 20x20m Erdboden) das Ende der Straße darstellte. Achselzucken, Motor aus, stehen bleiben und kurz die Beine vertreten – warum nicht? Weiterführende Pläne hatten wir ja eh keine mehr. Gerade als wir am Ende des verlassensten Parkplatzes der Welt einen Wegweiser in Richtung des „Lake Cheakamus 4 km“ (kenne ich bereits von „oben“) entdeckten, knatterte eine Motocross-Maschine den Weg herauf, preschte über den Parkplatz und kam neben unserem Auto zum stehen. Der Fahrer stieg ab, entledigte sich seines Helmes, kam fröhlich winkend auf uns zu und brabbelte auch sofort los. Wer wir seien? Warum wir hier sind? Was wir jetzt so vor hätten? Und er kenne sich super aus hier und und und… einigermaßen überrumpelt kamen wir mit ihm (Matty) ins Gespräch. Als wird irgendwie durchblicken ließen, dass uns die Wegstrecke von 4 km (hin und zurück also 8) bei diesem Schmuddelwetter zufiel wären, hatten wir die Rechnung ohne Matty gemacht, auf gar keinen Fall könne er uns jetzt gehen lassen… los los, wenigstens ein Stückchen gehen wir jetzt. Um ehrlich zu sein, etwas peinlich berührt… der Typ wollte mit seinen Motocross-Stiefel wandern, war bereits nass bis auf die Knochen und wir mit unserem Gore-Tex Superstuff wollten zurück ins Auto; beschlossen wir ein Stück mit ihm zu gehen und dann nach ein paar Minuten eben wieder umzudrehen. Ungesagt, getan. Matty legte in allen Belangen los wie die sprichwörtliche Feuerwehr, nach wenigen Minuten wussten wir neben seiner halben Kindheitsgeschichte, seinem Umzug von New Brunswick nach British Columbia, auch dass er scheinbar jeden Baum und jedes andere Stück Wald mit Vornamen kannte. Es gab kein Gewächs dessen Geschichte er uns nicht erzählen konnte, kein Pilz konnte sich unter der Erde vor ihm verstecken, er grub sie alle aus und an der abgezogenen Rinde der unterschiedlichsten Bäume wurde uns der kanadische Baumbestand erläutert. Ein Biologie-Wanderausflug der Extraklasse. Erwähnte ich, dass Matty – auf das y legte er fiel Wert – sich eigentlich, beginnend mit dem Absteigen von seinem Moped, einen Joint nach dem anderen dreht und anzündete? Naja, tat er jedenfalls. Und urplötzlich, genau in dem Moment, als Matty zur Rast auf einer alten Eisenbrücke riet, meldete sich „der Deutsche“ in uns. Wo waren wir eigentlich? Wer war der Kerl denn? Räumten seine Kollegen gerade unser Auto aus? Wo steht unser Auto denn? War da überhaupt noch ein Auto? Na gut, wir sind immerhin zu zweit… wird schon gut gehen; aber dennoch, was will der Typ wohl? Dennoch beschlossen wir weiter gute Miene, zur innerlichen Zerrissenheit zu machen, denn irgendwie war dieser verrückte Vogel ja eigentlich ganz sympathisch. Wir beendeten die Rast und setzten unsere Wanderung in die Untiefen des lebenden Botanik-Bildbandes fort, bis wir plötzlich tatsächlich am Ufer des Cheakamus Lake standen. (4 km in Motocross-Stiefeln; Hut ab – ganz schönes „Opfer“ für so einen Autodiebstahl in Spe). Während Thilo die Akkus seiner Kamera leer schoß, kam Matty und ich etwas vom „Kanadas Flora und Fauna“-Thema ab und landeten plötzlich bei dem Topic „Skifahren“. Hier hat Matty plötzlich noch mehr zu erzählen, ich grinste und hielt mich zurück (Anm. d. PJ: ich war jahrelang Redakteur bei einem deutschen Freeski-Magazin). Matty erzählte von den besten Gebieten in BC, von epischen Skitouren, unfassbaren Kickersessions, von seinen Sponsoren, von früheren Wettkämpfen, von einer Ski-Company bei der er die Finger im Spiel hätte und seinen besten Freunden… und spätestens hier wurde ich stutzig, denn er zählte kurzerhand einige Namen des who-is-who’s der Skiszene auf, angefangen bei Pep Fujas bis hin zu Eric „Hoji“ Hjorleifson. Ich musste nachhaken..! Ab diesem Zeitpunkt redeten wir beide uns in einen wahren „Stories of freeskiing“ Rausch – er war ebenso begeistert, jemanden zum fachsimplen gefunden zu haben, wie ich – der Wald, der Weg, die Sorgen über die bevorstehende Entführung und sogar die Tatsache, dass Thilo noch mit dabei war, waren direkt vergessen (#meaculpabuddy). Als wir dann plötzlich und wie im Hand umdrehen zurück an unserem Auto waren, Matty mit einem herzlichen Drücker für uns beide und dem Zuruf „My full name is Matty Richard – you can google me“ auf seine Maschine sprang und davon ballerte – stand wir, die zwei Deutschen, wie begossene Pudel vor unserem Auto. Es war weder uns, noch dem Auto, noch irgendjemand etwas passiert, wir haben einfach nur einen typischen (und möglicherweise den nettesten) Kanadier getroffen, welcher sich über 10 km mit uns durch den Wald geschlagen, uns seine Heimat erklärt und uns aus diesem verregneten Tag eine „Geschichte für zuhause“ beschert hatte. Aber warum eigentlich? Völlig egal, denn nur „der innere Deutsche“ würde dass nun ergründen.
Apropos zuhause, ein ungefähr vergleichbares Erlebnis wäre es, bspw. in der Innenstadt von Augsburg einen Spieler des FCA zu treffen, der einem dann in ungemütlichen Schuhen – sagen wir seinen Stollenschuhen – 4 Stunden lang eine Führung durch das Fuggerstädtchen gibt, nur um einem währenddessen seine komplette Lebensgeschichte zu erzählen. Klingt unwahrscheinlich? Ist es auch. Nur eben nicht in Kanada!
What. A. Day.
R
Hier kann man sich übrigens ein Urteil über Mattys Skikünste bilden: https://bit.ly/2m2Sc4T
Ein Gedanke zu “WALK IN THE WILD”
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