Der Volksmund weiß, man sieht sich immer zweimal im Leben – dass das Ganze aber in so kurzer Aufeinanderfolge war, kam selbst für mich etwas überraschend. Die Rede ist von einem Ausflug nach Kärnten, genauer gesagt in den letztmöglichen Winkel des südlichen Kärntens, an den Fuße des 1.700 Meter hohen Petzen.
Dort befindet sich der im August 2014 fertiggestellte „längste MTB-Flowtrail der Welt“ – das angebliche Meisterstück der Flow-Trails aus den Fingern von Bikepark-Bauer Diddie Schneider und der MTB-Legende Hans Rey.
Schlimm genug, dass ein Test der Strecke meinerseits bis zum vergangenen Wochenende warten musste. Bei meinem Oster-Roadtrip war aber am Ende wirklich keine Zeit mehr dafür.
Die Strecke an den Petzen, ist von München aus zwar kein Katzensprung, aber für einen Wochenendausflug durchwegs machbar. In Villach schere ich kurz aus, und packe meinen Kumpel und „Wahlkärnter“ Martin ein; schließlich macht ein Test zu zweit mehr Spaß und Ortskenntnisse sind vielleicht nie verkehrt.
Am Parkplatz von Martins Hausberg angekommen, lassen mich die vielen Autos etwas schlucken. Martin winkt lachend ab, keine Angst, so etwas wie anstehen, eine Liftschlange oder Streß auf der Strecke gibt es hier nicht. Dies sei ein Familien- und Wanderberg; zum biken kämen hier nur die Wenigsten her. Na gut, wir werden sehen…
Keine 10 min. später sitzen wir in der Gondel nach oben und ich notiere schon mal die ersten Pluspunkte zum direkten Vergleichskandidaten in Sachen Flow-Trail, dem – ebenfalls von Diddie Schneider gebauten – Bikepark Geisskopf im Bayrischen Wald. Eben dieser Park hatte uns vor Jahren mit der Eröffnung des ersten Flow-Trails in Heimatnähe, in seinen Bann gezogen und wir pilgerten regelmässig an den Wochenenden dort hin. Die anfängliche Euphorie hat in den letzten beiden Jahren etwas nachgelassen.
Kommen wir aber zurück zum Zwischenstand: 1: 0 Petzen durch eine nicht vorhandene Liftschlange, gefolgt vom augenblicklichen 2:0 durch die schnelle Gondel im Vergleich zum endlosen Einer-Sessellift in Bischofsmais.
Von der Bergstation aus, rollt man zunächst ein paar Meter auf einer Forststraße hinab und jagt dann hinein in das erste von sechzehn (!!!) Segmenten des 11 Kilometer langen Trails. Da für mich der Streckenverlauf neu ist und ich keine bösen Überraschungen mag , gilt für meinen ersten Run das bewährte Whistler-Motto „First pre-ride then freeride“. Das erste Teilstück ist verwinkelt, mit engen Kurven und dank des schnellen Licht- und Schattenwechsels nur etwas ruckelig befahrbar, in den nächsten Segmenten allerdings wird dies schon besser, der Trail breiter und man gewinnt zunehmend an Geschwindigkeit. Die ersten richtig satten Anlieger drücken einem die Mundwinkel nach oben und der Kärntner Wald schießt nur so an mir vorbei – wow, hier kann man die Bremsen wirklich abartig offen lassen. Wir donnern den Hang von links nach rechts entlang, quietschen wie die kleinen Kinder vor uns hin und sind obendrein tatsächlich mutterseelenallein auf der Strecke.
Martin lässt an einem der Rastplätze – den Übergängen von einem Segment zum anderen – sein Bike ausrollen und bleibt stehen. Gott sei dank, denn ich merke jetzt schon meine Arme und Beine aufgrund der wirklich äußerst langen Abfahrt. Martin grinst über das ganze Gesicht, warte nur, das Beste kommt erst noch, raunt er mir zu. Ich denke mir, na soviel kann da ja nicht mehr kommen, als mein Schild auf die Nummerierungstafel der Segmente fällt, und mir die Zahl 9 scheinbar einen Streich spielen will. Wir haben gerade einmal die Hälfte? Unfassbar; obendrein steht es damit 3:0 für den Petzen.
Weiter geht die wilde Fahrt und eins vorab, Martin hat kein bisschen gelogen, denn das Gefälle des Berges hat mttlw. deutlich abgenommen, so dass man nicht nur ausschließlich Hangquerungen entlang ballert, sondern jetzt kommt echter Flow auf. Und hier gilt es für Streckenführung und Bauweise den Hut zu ziehen, selten so einen guten Trail, mit solch einer Kreativität und endlosem Spaßpotenzial ausserhalb von Kanada erlebt. Um ehrlich zu sein, eigentlich noch nie. Ein ganz klares 4:0.
Jetzt wechselt sich der dichte Nadelwald auch noch mit offenen Wiesen, Laubwäldern und kleinen Lichtungen ab, besser kann das Trail surfen doch nicht mehr werden. Falsch gedacht, bzw. „alte Geisskopf-Denke“, denn dort windet sich der Flow-Trail zwar auch mit ordentlich Fahrspaß ins Tal, dennoch fehlt es dort an echter Abwechslung. Selbige gibt es hier zu Hauf, und für jede persönliche Linienwahl bezahlt man mit dem verpassen von 2 weiteren Möglichkeiten auf der perfekten Brechsand-Piste. Als dann im unteren Teil auch noch zunächst vereinzelte Jumps, später sogar eine ganze Jumpline in den Flow-Trail integriert sind, gibt es kein Halten mehr. Ich jubele meinen Spaß lauthals hinaus und plärre Martin zu, er möge doch bitte schneller fahren, denn wir müssen schnellst möglich wieder nach oben zum Startpunkt. Hier möchte ich die Ergebnis-Rechnung einfach komplett über Bord werfen und die Erhöhung auf ein glattes 10:0 bekanntgeben.
Endlich wieder an der Talstation der Petzen-Bahn angekommen, starre ich Martin fassungslos an. Was war dass denn? Wie genial ist denn dieser Trail? Was für eine Frechheit dass Martin sowas vor der Haustür hat usw. usf. – meine Gedanken und Worte überschlagen sich fast. Lächelnd schiebt mich Martin durch das Drehkreuz und durch die imaginäre Liftschlange direkt in die Gondel.
Seine Antworten auf all meine Fragen und die daraus entstehende Diskussion stimmen mich dann etwas nachdenklich. Denn für Martin ist der Trail nichts besonderes mehr, er habe auch irgendwie keinen Reiz mehr für ihn und er würde ihn auch nur noch mit „Besuch“ oder zumindest mit Freunden fahren. Aber alleine geht er wieder zurück zum alten Trail-Gerumpel, zum Entdecken neuer Wege, zum Nervenkitzel der Erstbefahrung und und und – das alles kann ihm der perfekt und wie geleckt daliegende Flow-Trail nicht (mehr) bieten. Klar könnte er versuchen immer noch schneller und schneller unten an zukommen oder darauf Wert legen, auch wirklich jeden Sprung perfekt zu treffen – aber wozu? Das verrückte Grinsen wie nachdem aller ersten Mal, wird sich nicht mehr ergeben.
Und das Schlimmste daran ist, wahrscheinlich hat er auch noch Recht damit. Ich selbst wohne keine 4 min. entfernt vom Einstieg zu den Isartrails, ich kann selbige nicht mehr sehen und meide diese mttlw. wie die Pest. Aktuell gehe ich lieber gar nicht radfahren, als mich auch nur einen Meter auf „meinen“ Münchner Haustrails zu bewegen. Doch allein für diese Trail-Option würden sich manch andere schon die Finger abschlecken… Abnutzung durch die Macht der Gewohnheit; schlimm.
Aber zurück zum Petzen, wir ballern noch 3 weitere Male dieses Schmuckstück von Trail hinab und sieht man am Schluß in unsere Gesichter, ist es unbestritten: Gewohnheit hin, Gewohnheit her – wir hatten beide mächtig viel Spaß.
Daher meine absolute Empfehlung, nehmt den langen Weg auf euch, fahrt nach Kärnten und stattet dem absoluten genialen Beispiel von Trailbaukunst am Petzen einen Besuch ab.
PS.: Fahrbar ist die Strecke übrigens für nahezu alle Könnerstufen – für die einen schneller, für die anderen eben langsamer.
Das Beste holt ihr aus so einem Trip übrigens raus, wenn ihr es mit einem Ausflug in das benachbarte Jamnica in Slowenien verbindet. So hat man ein bisschen was von allem, Gondel und Flowtrail, sowie feinstes Enduro-Geballer auf echten Trails unter der Nutzung von eigener Beinkraft.
Danke Martin, Danke Petzen!
#rideyousoon
R.