FERNWANDERN

Etwas mehr als 105 Kilometer Wegstrecke, knapp 6.000 Höhenmeter, 6 Tage Gehzeit, 3 inhalierte Kaiserschmarrn, die größte Hitzeschlacht seit langer Zeit und 8.5 Liter nahezu geexter Radler liegen nun hinter mir. Und was tue ich? Lächeln, denn was zu diesen Eckpunkten führte, war einfach nur großartig. Aber lest selbst…

Nicht nur aufgrund des zuletzt immer größer werdenden Trends des Fernwanderns (ich schrieb bereits mal kurz darüber), kommt man an dem Thema Langzeitfortbewegung mit den eigenen Beinen im Outdoor-Bereich nicht vorbei – mich interessierte auch einfach: wie weit tragen dich deine Beine wohl und wieviel Strecke lässt sich damit so machen?

Sofort schießen einem die großen und fantastischen Routen wie der Pacific Crest Trail, der Appalachian Trail, der lykische Weg, München – Venedig oder ähnliche Gewaltmärsche in den Kopf. Für den Anfang, quasi meinem Pilotprojekt und Jungferngang, muss es dann aber doch etwas machbareres, kürzeres und bestenfalls etwas ums Eck sein. Bliebe noch der E5 Fernwanderweg, der klassisch von Oberstdorf nach Meran gegangen wird, aber auch hier passe ich, denn so kurzentschlossen bekomme ich sicher keine Hüttenreservierungen mehr und ein Matratzenlager ist keine Option. Zumindest nicht dann, wenn ich etwas nur „zum Spaß“ machen möchte.
Mit dem Jakobsweg braucht man mir ebenfalls nicht kommen, da mir hier die literarischen Ausführungen eines gewissen Herrn Kerkerlings gereicht haben, um zu wissen, da muss ich definitiv nicht hin. Somit wurde das Internet von vorne nach hinten durchwühlt und von links nach rechts quer gelesen… Zu Fuß an die Ostsee, eine Slovenien-Durchquerung mit dem eigenen Zelt, der Donau entlang nach Wien usw. irgendwie machte mich das alles nicht sonderlich an. Doch dann wurde ich – längst nicht mehr auf der Suche – durch Zufall durch die Werbung der FB Seite der Kitzbühler Alpen auf den sogenannten KAT-WALK aufmerksam. Eine Fernwanderroute durch die Sommerversion der mir im Winter bestens vertrauten Berge des Tiroler Nachbarns? Hmm, dass klingt gut. Ich wechsele vom Überfliegen des Textes hin zum genauen Studieren der Details und Fakten. Die „kompakt“ Variante mit 76 km fällt aus, dass ist mir zu lasch – die „Alpin XXL“ Variante und zeitgleich schwerste Kategorie klang hier viel besser und auch mehr nach mir. Daher, kein langes Fackeln, ich buche mich direkt ein, ordere Kartenmaterial und gebe schon jetzt einmal vorsichtshalber eine Magnesiumpulver-Bestellung bei Basica auf. Sicher ist sicher.

Die verbleibenden Wochen bis zum Start der großen Tour und meiner Fernwander-Premiere verbringe ich mit einigen Trainings-Bergtouren im heimischen bayrischen Voralpengebiet und bin felsenfest davon überzeugt, dass so eine „kleine Tour“ mir nicht wirklich etwas anhaben kann. Wir werden sehen, Hochmut kommt ja meist vor dem Abstieg.

 

Treffpunkt an Tag 1 und Ausgangspunkt der „Alpin XXL“ Route des KAT-WALK ist der Gasthof Traube in Hopfgarten in Tirol. Hier kann man sein Auto entweder in der Tiefgarage der Bergbahn oder wahlweise auch auf dem großen Gemeindeparkplatz bedenkenlos für die nächsten Tage parken. Das Wetter verspricht nicht wirklich viel, denn außer Wolken und ein Himmel grau in grau ist nichts weiter zu erkennen – schade eigentlich, wo man doch direkt am Fuße der Hohen Salve mit ihrem markanten und weithin sichtbaren Sende/Funkmasten am Gipfel starten würde. Egal jetzt, los gehts – immerhin regnet es nicht. Ich starte los und mache dass, was ich am Besten kann, nämlich Karten und Wegweiser ignorieren (ich weiß es ja schließlich besser) und habe mich nach nur 800 Metern bereits verlaufen. Bravo, warten ja nur 100+ Kilometer auf einen. Ich drehe um, lese nun (ab jetzt im 10 min. Takt) die Karte und renne gesenkten Hauptes fast in eine Gruppe bestehend aus 6 Holländern. Aha, auch KAT-Walker…und genauso doof wie ich. Auch sie korrigieren ihre Route und folgen mir in nur wenigen Metern Abstand. Nach ein paar Kehren den Hang hinauf, passiere ich eine Gruppe von 4 „Muttis“ die ebenfalls alle mit KAT-Walk Kartenmaterial ausgerüstet sind – na toll, ich hatte mir dass weniger als Kolonnenwandern und im Gleichschritt Marsch vorgestellt. Und wieso überhaupt wechselt sich der Boden nur zwischen Forst- und Teerstraße ab? Und was ist dass, die Holländer ziehen an mir vorbei und überholen mich mit den Worten “ da lekka Bier’che rufd“? Und was fehlt zu meinem Glück? Richtig, Regen.
Wenig begeistert stapfe ich weiter, und murmle ein „dette hatte ick mia janz anders voajestelld“ in meinen Bart. Aus einer Hütte am Wegesrand brandet wenig später ein lautes Hallo auf und ich sehe in 6 knallrote holländische Gesichter, die mir mit ihren Weißbieren zuprosten während ich weiter den Berg hinauf „eile“.
Am höchsten Punkt der heutigen Tour, der Haag Alpe beschließe ich, eine kurze Trocknungs- und Klamottenwechselpause einzulegen. Selbige untermale ich mit einer Kaspressknödelsuppen und einem Radler (scheiß drauf, dass ich normalerweise keinen Alkohol – und schon gar nicht am Berg, trinke). Draussen schüttet es mttlw. in Strömen, perfektes Timing. Ungefähr 20 Minuten nach mir, kommen auch die „Muttis“ in der Alm an, auch diese winken wieder begeistert und kopieren direkt mein Menü. Zeit für mich zu gehen.
Der Regen lässt nach und ich bringe den Abstieg nach Kelchsau mit dem Ziel Fuchswirt zügig hinter mich. Eine erste 19.3 km lange, aber ansonsten trotz der bewältigten 900hm eher flache und gemütliche Etappe geht mit dem Gejohle der bereits auf der Terrasse weißbiertrinkenden Holländer zu Ende. Wie zum Teufel sind die an mir vorbeigekommen???

 

Der zweite Tag beginnt mit der Erkenntnis, dass das Wetter aufgrund des fehlenden Regens wohl einen Ticken besser werden könnte. Naja, dennoch keine Hektik aufkommen lassen, frühstücken und los. Beim Abschied vom Fuchswirt noch schnell den „Muttis“, sowie den gestern Abend neu hinzugestoßenen weiteren 2 Holländern gewunken, dann widme ich mich dem Aufstieg. (wo die Weißbierfraktion abgeblieben ist, ist mir ein Rätsel)
Einer schier endlosen Teerstraße nach oben, folgt ein steiler Steig, der es in sich hat – da ist die nahezu ebenerdige verlaufene 3-4 km lange Hangquerung bei den Ölbankalmen eine gelungene Verschnaufpause. Dann geht es steil und äußerst unwegsam über eine von Kühen zertrampelte und in höchstem Ausmaß „verminte“ Bergflanke zum zweithöchsten Gipfel der gesamten Route empor. Der Lodron wird überall als 360° Ausblicksgipfel gepriesen, die Wolken trüben das Vergnügen zwar etwas, dennoch bieten sich spektakuläre Tiefenblicke an, während man versucht nicht bis zu den Knien im Schlamm zu versinken. Plötzlich zieht aus dem Nichts eine schwarze Wolkendecke über den Gipfel und es wird eisig kalt – in der (ohne Witz) kurzen Panik zu erfrieren, leite ich den Abstieg ein. Selbiger dauert ewig und ist mindestens genauso beschwerlich, wenn nicht sogar schlimmer als der Aufstieg, bewegt man sich doch nahezu ausnahmslos über von allerlei Weidevieh zertretenem steilen Almgelände. Huftiere buh! Was würde ich heute für die verhassten Forststraßen von gestern geben. Nach ca. 2 Stunden hat man dann endlich die Baumgrenze erreicht und wandert etwas entspannter dem heutigen Ziel, dem Steinberghaus entgegen. Plötzlich schießen aus dem Nichts, die 6 Holländer an mir vorbei, jubeln lautstark darüber, dass sie mich entdeckt haben und erklären mir, sie hätten „lekka Bierdurst“; ach welch Überraschung.
Doch reichlich k.o. und mit – dank der über 1.000 Tiefenmetern – schmerzenden Knien, wackle ich an die Rezeption des Steinberghauses und freue mich auf mein Nachtquartier, dass sich laut Zimmerbeschreibung aus dem Internet „schöne Komfortzimmer mit Panoramafenstern und Flachbildschirmen“ sehr gut las. „Ah, da schau her, ein KAT-Walker, dritter Stock, Aufzug hama ned und um 18 Uhr gibt’s essen“, schallt es mir entgegen. Ich fluche mich mit bereits 17 km in den Beinen die 6 Treppenabsätze nach oben und beziehe mein Zimmer aus der Vorkriegszeit mit Röhrenmonitor und einem herrlich kackbraun gefliestem Bad. Ein Hoch auf die Wertschätzung des Gastes. (Anm.d. Red. zum Fernsehen selbst komme ich nicht mehr, denn nach dem Essen, schlafe ich direkt ein…)

 

 


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2 Gedanken zu “FERNWANDERN

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