Zunächst reißen mich die Worte „Hi, ich bin Paul“ aus meinen Tagträumen, gefolgt von dem Händedruck, der sich wie ein Schraubstock anfühlt. Schlagartig bin ich von dem gedanklichen Ausflug (Anm. d. Red.: „Wann war ich zuletzt hier in Sechelt? Ach ja, mit Tobi und Thilo während unseres legendären Coast Gravity Park Besuches“) zurück auf dem Steg der Wasserflugzeug-Betreibers Sunshine Coast Air, deren Steg weit in den Sechelt Inlet hinein ragt.
Paul stellt sich als Pilot des heutigen Rundflugs heraus und weist uns wortkarg zu einem der am Steg vertäuten Wasserflugzeuge hin. Bei strahlendem Sonnenschein und bestem Wetter klettern wir eilig in den zugegebenermaßen klitzekleinen Innenraum der Maschine; eilig übrigens deshalb weil es angeblich bald zu regnen beginnen soll. Na dann los, keine Zeit verlieren, ich falte mich irgendwie auf dem Beifliegersitz zusammen, setze auf Geheiß die riesigen Kopfhörer auf und Paul wirft sofort den Motor an.
Überraschung, es ist weniger laut als erwartet und auch das befürchtete „Geholper“ über das Wasser bleibt aus – das hatte ich mir irgendwie wilder, rauer und vor allem – abgesehen von der Sitzsituation – ungemütlicher vorgestellt. Wir tuckern hinaus in den Sechelt Inlet, wenden die Schnauze in Richtung des kleinen Städtchens Sechelt, dann lässt Paul den Motor aufheulen. Das Flugzeug gibt Schub, bäumt sich auf und wenige Sekunden später verlassen die Kufen den Pazifik und wir sind in der Luft.
Sprachlos und aus allen Fenstern gleichzeitig staunend fliegen wir über die Miniaturlandschaft der Sunshine Coast, genauer gesagt zunächst über Sechelt hinweg, ein wenig hinaus auf die Strait of Georgia. Es ist fantastisch und unglaublich zugleich. In leichter Rechtskurve fliegen wir über Thormanby Island und wenn ich es nicht besser wüsste, könnte es sich hier unter uns auch um kleine karibische Inseln handeln. Na gut, die Douglas-Tannen und diverse Felsformationen entlarven diesen Vergleich als nichtig; hingegen halten Wasserfarbe und versteckte Sandstrände dem Vergleich aber Stand!
Die gemütliche Rechtskurve hält ganz der Küstenlinie folgend an und wir steuern auf Madeira Park zu. Apropos der Sprachlosigkeit im Cockpit, diese gilt übrigens auch für Pilot Paul – irgendwie finde ich es etwas schade, dass er relativ wenig, um nicht zu sagen gar nichts, zur Landschaft unter, vor oder neben uns erzählt oder überhaupt einen Piep von sich gibt. Aber wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg dass eben selbst in die Hand nehmen, ich bin ja schließlich schon fast Local hier. Also starte ich ein Feuerwerk an Fragen, um Paul vielleicht ein bisschen auftauen zu lassen. „Ist der Berg mit den Radarmasten Pender Hill?“, „Führt eine Straße auf Beaver Island?“, „Ist das dort der Sunshine Coast Highway?“ usw. usf. Nicht dass ich zwingend Antworten gebraucht hätte, denn auf bspw. alle genannten Fragen wusste ich diese bereits im Vorfeld (Anm. d. Red.: Nein. Ja. und Ja.), ich hoffte einfach auf Pauls akustische Anteilnahme an diesem unfassbaren Flug. Pauls Antwort bzw. Reaktion auf jede meiner Fragen war immer dieselbe, er zuckte mit den Achseln. Ich glaube nach der fünften oder sechsten Fragen-Offensive wurde es ihm dann zu blöd und er ließ sich zu folgendem – tief beeindruckenden – Statement hinreißen:
„Sorry, ich weiß das wirklich alles nicht. Da ich ein Flugzeug habe , habe ich keinen Pkw-Führerschein und ich war da unten überall noch nie. Ich steige jeden Morgen zuhause auf Vancouver Island in mein Flugzeug, fliege zur Arbeit und dann fliege ich rum – was ja mein Job ist. Abends fliege ich nach Hause. Daher tut es mir leid, ich kenne fast ganz BC; aber eben nur von oben – meine Füße waren aber noch fast nirgends.“
Rumms. Das hat gesessen. Nicht dass der Blick aus allen Fenstern nicht schon genug gewesen wäre, jetzt arbeitet mein Kopf, was für einen unfassbaren Lebensstil führt Paul denn bitte?
Mittlerweile sind wir über Earls Cove hinweg, haben die Route einer BC Ferry von Saltery Bay aus kommend, gekreuzt und fliegen auf absolutes Niemandsland aka Wildness bzw. Harmony Island zu. Paul ist mttlw. aufgetaut und gibt nun weitere Piloten- und Fluggeschichten zum Besten, ich glaube im gefällt die Reaktion meinerseits auf nahezu jede seiner Anekdoten. Unglaube, Kopfschütteln und Can’t-be-true-Ausrufe in Dauerschleife.
Schleife ist ne schöne Überleitung, denn Paul hat offensichtlich auch richtig Spaß an der Tour und schraubt das Wasserflugzeug immer wieder an einem Wasserfall, der von dem auf einem Plateau gelegenen Freil Lake bis fast in den Pazifik stürzt, rauf und runter. Leichtes Magengrummeln, Jubelschrei und große Augen dank (jaja) minimaler G-Kräfte, lassen Paul zu einer weiteren Runde Wasserfall Top-to-Bottom in 5 Sekunden ansetzen.
Leider ist der größte Spaß dann irgendwann doch auch wieder vorbei und wir fliegen schweigend aber grinsend den kompletten Sechelt Inlet in Richtung des Heimathafens bzw. Landestegs. Klingt nach langweiligen 15 min. Flugzeit? Weit gefehlt, denn zum einen ist die kanadische Küstenlandschaft nie langweilig und die Tatsache, dass wir nur 20 m über der Wasseroberfläche dahinrauschten, lieferten ein würdiges (vielleicht aber auch nur halblegales) Ende.
(Kurze Anmerkung: Bilder aus dem Flugzeug sind aufgrund der Spiegelung nahezu unmöglich, daher gibt es leider nicht mehr „Dokumentation“.)
Von den gebuchten 60 Rundflug-Minuten, waren wir insgesamt fast 70 unterwegs, was ein weiterer Bonuspunkt war und ich somit abschließend einen Ausflug mit Sunshine Coast Air in Sechelt uneingeschränkt empfehlen kann. Ein großartiges Geburtstagsgeschenk (und da sagt nochmal einer Gutscheine würden nichts taugen!), ein schweigsamer aber dennoch erstklassiger Pilot und der einsetzende Regenschauer 5 min. nach unserer Landung lieferten hier einen Tag für die Ewigkeit.
I ♥︎ Kanada.
R.