VORDERES SONNWENDJOCH

„Nur ein einziger wirklich wichtiger Termin am Morgen, der Rest der Arbeit könnte warten oder besser gesagt, aufgeschoben werden…“ höre ich es in meinen Kopf rumoren.  Kaum ist das Meeting dann zu Ende, eile ich nach Hause, werfe alle benötigten Berg-Utensilien vom Wanderschuh bis hin zu Rucksack und Stecken ins Auto und düse auch schon los in Richtung des nächsten Rocktober-Abenteuers.

Auf dem Heimweg hatte ich bereits mein Tourenregister gescannt und kam auf die Idee noch schnell an den Achensee zu fahren, um dort im Rofangebirge das Vordere Sonnwendjoch zu besteigen. Eine als mittelschwer eingestufte Bergtour mit einer Gehzeit von – je nach Variante – 5 bis 6 Stunden. Das kann für eine Halbtagestour schon knackig werden, egal, muss ich halt etwas auf die Tube drücken beim Gehen.

Kurz nach Mittag traue ich meinen Augen kaum und stelle mein Auto auf den Sage und Schreibe letzten Parkplatz der Rofanseilbahn ab – die Idee mit den Bergen hatte anscheinend nicht nur ich. Im Vergleich zur Karwendelbahn erweist sich die Zahlungsaufforderung von 20€ für Berg- UND Talfahrt geradezu als Schnäppchen und so befinde ich mich wenige Minuten später am Ausgangspunkt der Tour, der bewirtschafteten Erfurter Hütte, direkt neben der Bergstation. Von hier aus folgt man entweder der Menschenmenge oder um doch auf Nummer sicher zu gehen, der Beschilderung des Weges 401. Durch den Talboden schlendernd geniesst man bereits die ersten Eindrücke des heimischen „Indian Summers“ und hat zudem fantastische Ausblicke auf den Rosskopf, die Haidachstellwand oder auf einfach alle Berge Österreichs. Eine wirklich unglaubliche Fernsicht.

Im Aufstieg zur Grubascharte (der 401 folgen) wird einem dann wieder bewusst, wie kräftig so eine Oktobersonne auf unseren Planeten herabbrennen kann. Aber wie heißt ein altes bayrisches Sprichwort: Liaba da’schwitzt ois da’frorn. (Lieber erschwitzt, als erfroren).

Die Menschenkarawanne – nein, kein Witz – vor mir, pilgert und zwar ohne Ausnahme auf die bereits dicht besetzte Rofanspitze hinauf. Zum Glück geht mein Weg nicht nach links hinauf, sondern verläuft in gemütlichen Quergang durch den Hang. Ab diesem Zeitpunkt bin ich absolut allein und treffe erst auf dem Abstieg wieder andere Wanderer – bereits jetzt schon eine Tour nach meinem Geschmack.

Beim nächsten Wegweiser folge ich der Beschilderung Sagzahn & Sonnwendjoch, steige auf eine leichte Graskuppe und laufe mit offenem Mund an deren Gratabrisskante entlang. Das gesamte Inntal liegt glasklar vor mir, zu meiner linken strahlt in der Ferne der Wilde Kaiser, direkt vor mir lacht das Zillertal und mit einem Blick nach rechts, kann man die Skipisten und Lifte des Hintertuxer Gletschers und noch viel viel mehr sehen. Ich muss immer wieder blinzeln, weil ich es einfach nicht glauben kann – selten so einen unfassbaren Ausblick genossen.

Am Fuße des Sagzahn angekommen, hat man nun die Möglichkeit sich den Aufstieg an das eigene Können anzupassen. In der direkten Variante über einen mit Drahtseil versicherten Steig oder eben auf einem normalen Gebirgspfad – allerdings mit ein paar mehr Gehminuten. Ich wähle die direkte Variante und stehe wenig später auf dem Gipfel des Sagzahn. Jetzt muss man wissen, ich bin im Normalfall kein großer „Raster“ oder am Berg-Rumsitzer, dass ich aber nun fast 20 Minuten hier sitze, ist einfach dem großartigsten aller Ausblicke geschuldet.

Danach geht es auf dem gut erkennbaren Weg zum direkt vor mir liegenden Sonnwendjoch, alles immer mit schönstem Panoramakino bespielt. Vom Sonnwendjoch steige ich zunächst nach „hinten“ in Richtung des Zillertals ab. Hier ist Trittsicherheit gefragt, da die Angelegenheit ziemlich steil und felsig ist. Wer sich hier aufgrund der Richtung nicht ganz sicher ist, oder wundert, dem sei gesagt, keine Angst, nach etwas 15-20 Minuten Abstieg erreichen man eine Weggabelung samt Schild und folgt der Pfeilrichtung „Schermsteinalm“. So umrundet man quasi von hinten auf steilen Grasflanken das gesamte Sonnwendjoch-Massiv und kommt im vorgelagerten Talkessel mit 3 traumhaft gelegen Almen wieder mit Blick in Richtung des Ausgangspunktes heraus. (P.s.: Wer nicht ganz schwindelfrei ist, sollte sich diesen Abstieg mglw. 2x überlegen, denn ich meine wirklich steile Grasflanken!)

Beim Anblick der kleinen Forststraße befürchte ich kurz, dass es das nun war mit den kleinen Wegen und den herrlich einsamen Pfaden. Keine 50 Meter später werde ich eines Besseren belehrt. Hier zweigt man in Richtung Krahnsattel nach links ab und befindet sich sofort wieder auf einem kleinen gerölligen Weg mit zum Teil großen kräftezerrenden Steinstufen. Es warten nochmals 300hm Aufstieg auf mich – steil, der Sonne ausgesetzt und jede Menge loses Geröll machen daraus nochmal eine kurze 180ger Pulsetappe. Hier kann ich jedem nur zu einer kleinen Verschnaufpause und einem Blick über die Schulter raten, denn der Ausblick…aber ja, ich höre schon auf damit.

Am Krahnsattel angekommen, stampft man durch kleinere Alt- oder gar Neuschneefleckchen, passiert die Grubalacke und ist nach wenigen Gehminuten wieder zurück auf dem bereits bekannten Wegabschnitt vom Beginn dieser Tour. Im leicht goldenen Licht des Spätnachmittags geht es zurück und so schließt sich dann diese Rundwanderung der Extraklasse auch wieder an der Bergstation bzw. der Erfurter Hütte.

Welche übrigens droht, aus allen Nähten zu platzen – auf den Wanderwegen hingegen, sieht man jetzt niemand mehr.

 

Fazit:

Ich bin geneigt von der besten Tour überhaupt zu schreiben, zügle aber meine Begeisterung und mache daraus: eine der besten Touren, die ich jemals gegangen bin. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich ca. 4:15 Stunden unterwegs war – inkl. aller Pausen und Ausblick-Momente – dabei jeweils knapp 600hm hinauf wie hinab bewältigt, sowie die 10 km Marke geknackt habe. Ich sag ja: Halbtagestour.

 

Auch ich würde die Tour – nach der Begehung – jetzt generell als mittelschwer einstufen, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sollten das Maß aller Dinge sein und wie oben beschrieben, wer den Sagzahn-Steig auslassen will, der kann dies getrost tun. Dennoch würde ich dieser ausblicklastigen Rundwanderung gerne einen Hinweis mitgeben, der mich an Schilder aus meiner Kindheit am Berg erinneri: Nur für Geübte. 

 

Wiederholung? Unbedingt; gerne sogar schon morgen!

 

Ich sah etwas, was du nicht sahst…
R.