Wie bereits erwähnt, gibt es ein paar Dinge, die man in Tofino auf Vancouver Island unbedingt unternehmen sollte, deshalb lautete der heutige Plan: Seakayaking. Die Tätigkeit erklärt sich eigentlich von selbst, mit einem Kayak geht es hinaus aufs Meer (nicht auf den See!).
Bereits am Vorabend finde ich mich im Büro von Tofino Seakayaking ein und erkundige mich nach den anstehenden Touren und aber vor allem, nach dem Wetter für den nächsten Tag. Der Typ – Marke „Adventure-Rotschopf“ – hinter dem Tresen weiß, über Nacht zieht erneut ein „Storm“ (eine Regen- Windmischung, die sich hier in Kanada meist gewaschen hat) über Tofino hinweg, aber ab morgen früh, „alles kein Problem mehr“. Perfekt, ich buche.
Am nächsten Morgen wirft der Blick aus dem Fenster und dem keine 100 Meter entfernten Meer doch einige Fragen auf mein Gesicht und lässt einen direkt „irgendwie unwohl“ fühlen. Unruhige See, weiße Gischtkämme soweit das Auge reicht und die Windhose der benachbarten Surfschule steht voll aufgebläht parallel zum Boden, selbst die mächtigen Zedern im Uferbereich weisen ein paar Grad Neigungswinkel auf.
Dennoch erscheine ich pünktlich um 9 Uhr im Hauptquartier der Paddler, von der Dame am Tresen erfahre ich, dass Guide Andy sich wohl etwas verspätet und ob ich nicht erstmal einen Kaffee möge. Ich nicke und verbringe die nächsten 30 Minuten mit schlürfen und mulmigem Gefühl aufs Meer hinaus starren. Mttlw. hat es zu regnen begonnen… Arrrrh.
Um kanadisch 9 Uhr (9:35 Uhr nach europäischer Zeitmessung) schießt der bestens gelaunte Andy ins Office, verkündet lauthals, dass dies doch ein super Tag sei und warum ich hier noch rumstünde. Los raus mit mir, ein Paar Gummistiefel ausgesucht, das Kayak zum Strand getragen, rein in die Rettungsweste und dann kanns auch losgehen. Das alles geht so schnell und mit einem so topmotivierten Andy, dass ich keinen passenden Zeitpunkt finde, meine Wetterbedenken zu äußern und anzumerken, ob man die Sache mit dem „in See stechen“ bei solch Bedingungen als blutiger Anfänger vielleicht besser lassen sollte.
Der kurze Einweisungs-Klassiker „Kayaksport-in-der-Theorie“ inklusive einem groben Abriss von Andys Lebenslauf (er ist seit 23 Jahren Seekayaker und seit 19 Jahren als Guide auf der ganzen Welt tätig) besänftigen mich etwas. Einen Wimpernschlag später finde ich mich im bereits schwimmenden Kayak wieder und vernehme eine Stimme, die gegen den Wind Kommandos in meine Richtung schreit: „Paddel. Grobe Richtung links. Pass auf das Wasserflugzeug auf. Vorsicht von rechts kommt die Küstenwache. Lass dich nicht von der Störmung erwischen. Volle Power. Jetzt.“
Ich mühe mich an der Tätigkeit die paddeln darstellen soll ab und bin leicht überfordert. Es wackelt, es stürmt, es regnet, das Kayak macht was es will und vor allem fährt es wohin es will – der Seegang von unruhigen Wellen aus allen Richtungen machen einen fertig. Mehrmals bin ich mir sicher, dass ich umkippe und dass das mein (Kayak-)Ende ist. Da ich aber konstant mit Gischt im Gesicht versorgt werde, stelle ich immerhin fest, dass das Wasser nicht allzu kalt ist und ich somit im Falle meines Kenterns nicht direkt erfrieren würde. Daher lautet das innerliche Durchhalte-Mantra: Was soll schon passieren, schwimmen kann ich ja. Also los: Paddle!
Plötzlich ist der Strömungskanal durchquert, die Wellen sind Geschichte und wir befinden uns im Schutze einer kleinen Insel, ebenso ebbt der Wind etwas ab und der Regen lässt nach – ach kuck, schon viel besser. Dank der ersten 15 minütigen Reifeprüfung weiß ich jetzt aber dank des learning-by-doing Crashkurses auch in etwa, wie (m)ein Kayak tickt, wie es funktioniert und wie ich wohin steuern kann.
Jetzt läuft es. Erstmal entspannt durchatmen und kurz umkucken.
Ruuummmms. Uuups, Fels übersehen. Andy ist darüber zwar nicht begeistert, muss dennoch lachen und lobt mich obendrein für die gute Querung der Strömung; da ich aber derjenige bin, der für diese Tour zahlt, hege ich den leisen Verdacht, dass dies eher eine Mischung aus glatter Lüge und (notwendiger) Motivation war.
Wir paddeln nun zwischen diversen Inselchen im Clayoquot Sound umher und Andy entpuppt sich als fantastischer Hobby-Biologe und Geschichtenerzähler. Alle Nasen lang schießt seine Hand ins Wasser und er zerrt von diversen Algen, über Krabben aller Größen, Seeschnecken, bis hin zu Muscheln, allerlei weitere Meeresbewohner an die Oberfläche. Nie ohne genaue Klassifizierung, Herkunftsgeschichte und einem persönlichen Erlebnis mit oder zu seinem Flora- oder Fauna-Fundstück. Selten waren 2 Stunden Biologie-Vortrag so spannend, so echt und so gespickt mit britischem Humor.
Das schlechte Wetter und der daraus resultierende Umstand, dass wir uns deshalb nicht weiter von Tofino wegbewegen konnten, verwehrte uns die Möglichkeit fressende Bären am Ufer von Meares Island oder gar Wale zu sehen. Immerhin ein Seeadler Pärchen und einige Robben lassen sich trotz des miesen Wetters zu einem kurzen Show-Auftritt hinreißen.
Irgendwann mahnt Andy zum Aufbruch, zu Mal wäre unser Stundenkontingent aufgebraucht, zum Anderen befürchtet er eine Wetterverschlechterung. Wie das gehen soll, ist mir ein Rätsel, es regnet mttlw. bereits seit geraumer Zeit wieder ganz ordentlich und der Wind hatte ebenfalls in den letzten Minuten zu alter Stärke zurück gefunden; aber Andy is the man, daher alle Uhren auf Heimkehr.
Dieses Vorhaben, erfordert allerdings eine weitere Durchfahrt des Strömungskanals, bei wie gesagt jetzt noch schlechterem Wetter als 3 Stunden zuvor. Egal, ich beschließe, mich nicht mehr so untalentiert wie beim rauspaddeln anzustellen und gebe Vollgas. Andy plärrt hinter mir noch irgendwelche Kommandos, aber ich gebe bereits Vollschub. Das Kayak, nun bereits (etwas) besser im Griff, stelle ich schräg zu den Wellen und versuche aktiv gegen oder mit der Welle zu arbeiten. Das funktioniert zwar nicht perfekt aber bei weitem besser, als in den Anfangsminuten am Morgen, als die Wellen mich umher schubsten wie die Iren einen betrunkenen Kobold.
Unversehrt und mit einem riesigen Lächeln auf den Lippen erreichen alle – wider anfänglichem Erwarten – gegen 13 Uhr den Strand und somit das Ende der Tour. Ein Glück, dass es Andy am Anfang so eilig hatte und ich meine Zweifel über den Antritt zu diesem Erlebnis nicht äußern konnte. Was für ein unfassbar guter Vormittag; gefühlt könnte ich noch ewig weiter paddeln und noch viel Meer erleben, mein Körper sagt allerdings: Aua!
Ruh dich aus alter Mann.
Hardfacts:
- Schlechtes Wetter gibt es für einen Kanadier nicht
- Kayaken kann perse jeder – bei Wellen oder schlechtem Wetter ist aber Kraft & Kondition erforderlich
- Gummistiefel, Dyrbags, Rettungsweste, Spritzschutz, Handwärmer und viele weitere notwendige Kleinteile gibt es vom Veranstalter kostenfrei zu jeder Tour dazu
- Wer nicht im Besitz einer Norrona Jacke ist, kann sich ebenso kostenfrei eine dringend benötigte Gore-Tex-Jacke vor Ort ausleihen
- Kostenpunkt für eine 2.5-3.5 stündige Tour sind ca. 70$ pro Person
- An sonnigen Tagen unbedingt Getränke und Sonnenbrille mitnehmen
- Kopfbedeckung ist auch ein Muss; bei uns gegen Wind, Nässe und Kälte – ansonsten gegen die Sonne
Kayak; wir sprechen uns wieder. Bald.
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