Mit etwas über 30.000 Quadratkilometern ist Vancouver Island zwar eine Insel, dennoch nicht mit den im Vergleich kleinen deutschen Enklaven wie Mallorca oder Teneriffa auf eine Stufe zu stellen. Weder Flächen- noch Bevölkerungsmässig und von der Natur ganz zu schweigen. Auf Vancouver Island findet man dann am unteren Zipfel der Insel die Hauptstadt von British Columbia namens Victoria. Früher sogar noch etwas förmlicher: Fort Victoria – eben ganz nach englischer Tradition.
Das Schmuckstück und Hafenstädtchen erreicht man aus Vancouver ziemlich einfach, vom Fährhafen Horseshoe Bay geht es mit BC Ferries nach Nanaimo und von dort folgt man dem Trans Canada Highway für etwas über 100 km nach Süden, bis man nach einem Zeitaufwand von insgesamt ca. 3 – 3.5 Std. am Wasser des Inner Harbours ankommt.
Der Stadtkern von Victoria ist wunderschön und ein Feuerwerk aus kulturellen Einflüssen, da fällt es einem leicht das Auto in den zahlreichen Parkhäusern oder auf öffentlichen Parkplätzen zurückzulassen und einfach drauf los zu bummeln. Ein für mich gefühlt wilder Mix aus den besten Städten überhaupt prasselt auf mich ein, denn die Mischung aus Teilen von Kopenhagen – Amsterdam – Hamburg – San Francisco – Dublin & London ergeben letzten Endes das Gesamtbild Victoria ab.
Das hippe coole Designlastige paart sich hier mit alten Backsteinbauten, Urbanart trifft auf Graffiti, englische Seefahrer-Geschichte und der Verweis auf die nicht zu verpassende Teatime geht einher mit unzähligen First Nations Sehenswürdigkeiten, diese wirklich nebst zahllosen Bio-Organic-Non-Allergic-Alles-free-Läden zu finden sind – obendrein würde man gerne in jeder zweiten Kneipe einen wöchentlichen Stammtisch abhalten. Eine grandiose Mischung und selten in so perfekter Abstimmung erlebt und gesehen.
Ein kurzer Stadtspaziergang, der sich dann doch über fast 3 Stunden ausstreckt, ist das Resultat. Vom Inner Harbour zum Fisherman’s Wharf, vom Parlamentsgebäude der Gesetzgebung zum Beacon Hill Park, ein Abstecher ins The Bay Centre, in Chinatown alle Straßen rauf und runter , sowie zurück zum Hafen, um meiner Passion für Wasserflugzeuge zu frönen usw. usf.
Direkt am Wasserflugzeug-Steg? Hafen? Terminal? befindet sich das Restaurant „The Flying Otter Grill“, welches man sich nicht entgehen lassen sollte. Man sitzt direkt auf dem Steg – ja, es gibt Heizpilze – und kann dem Treiben im Hafen und den Wasserflugzeugen beim Starten und Landen zu sehen. Ach, und das Essen ist fantastisch – auch wenn es evtl. (wie im Rest von Victoria) nicht from-farm-to-table ist; stand zumindest nirgends!
Danach, es begann bereits zu dämmern, ging es kurz in das heutige Nachtlager, dem sehr zentral aber dennoch ruhig gelegenen und äußerst unvenezianischem Hotel Rialto. Rein in die lange Unterwäsche – Norrona sei dank – und fertig waren wir für den Nachtausflug. Lacht ruhig, wer aber schon jemals bei 3° einen nächtlichen Spaziergang durch eine Hafenstadt gemacht hat, weiß warum doppeltes Beinkleid doch äußerst nützlich und vor allem warm sein kann.
Übrigens ist die Bezeichnung Nachtspaziergang ein klein wenig untertrieben, schließlich hatten wir uns für einen der „Ghostly Walks“ durch das nächtliche Victoria angemeldet. Für läppische 15$ pro Kopf marschiert man ca. 2 Stunden unter der Aufsicht eines Laienschauspielers-/Geschichtsstudenten durch allerlei Seitengassen, Hinterhöfe und dunkler Ecken Victorias. Alles untermalt von Geschichten über die „most haunted city“ im ganzen pazifischen Nordwesten. Insgesamt gibt es in und um Victoria (angeblich) über 500 nennenswerte Geschichten und Ereignisse von über- oder zumindest unnatürlichen Vorfällen; die Besten davon bekommen wir von unserem zylindertragenden Erzähler lebhaft vorgetragen.
Nach reichlich Horror- und Gruselgeschichten von wiederkehrenden kleinen Kindern im Brunnen, über ganze Segelschiffbesatzungen voll Untoter und noch heute in Hotelzimmer wütenden Ehestreits ist es einem dann doch etwas frisch – oder ist es doch nur die Gänsehaut am eigenen Rücken?
Ein zwei Bier, in einer der zahllosen aber in diesem Fall immerhin hotelnahen Craft-Beer-Bar (organic versteht sich…) hauchen wieder Wärme und die nötige Bettschwere ein.
Nicht nur Natur, jetzt können sich plötzlich auch noch Städte – Kanada ick mag dir.
R.